Die spinnen die Römer: die beeindruckende Ingenieurskunst hinter Aquädukten

Mein diesjähriges Praktikum hat mich nach Neu-Aquitanien in Südfrankreich geführt, wo man unvermeidlich auf alte Überbleibsel der Römer stößt. Das heutige französisch Staatsgebiet wurde damals von der keltischen Volksgruppe der Gallier bewohnt. Eines der berühmtesten Überbleibsel in dieser Region ist die Pont du Gard in Nîmes. Als Ingenieur*in fragt man sich hier schnell: Wie konnten die Römer mit den damals verfügbaren Mitteln solch einzigartige Konstrukte erbauen? Und was hat es mit den Überbleibseln der römischen Kultur auf sich? Diese Fragen und mehr werden wir gemeinsam im folgenden Artikel beantworten.

Während das lateinische Wort Viadukt (Via = Weg, Ductus = Führung, Leitung) mit Brücken gleichgesetzt wird, ist das Aquädukt (aquaeductus) die Bezeichnung für ein Bauwerk zum Wassertransport. Doch mit ihrer Erfindung waren die Römer nicht die Ersten. Bereits unter Ramses dem Großen, König Salomo und den Griechen wurden solche Systeme gebaut.

Die spinnen die Römer

Das beeindruckendste „Netz“ von Aquädukten wurde in und rund um Rom errichtet: Bis zu 400 Kilometer wanden sich die Konstruktionen durch jedes erdenkliche Terrain. Wer bei der Vorstellung von Latein und kilometerlangen Aquädukten nur gähnt und unfreiwillig an trockene Lateinstunden aus der Gymnasialzeit erinnert wird, teilt vielleicht auch die Meinung von Asterix und Obelix: „Mit ihren neumodischen Bauwerken verschandeln die Römer noch die ganze Gegend“ (Asterix und Obelix: Die Goldene Sichel). Bei wem Optik und lateinische Begriffe rund ums Thema Aquädukte noch kein Interesse an der Materie wecken konnten, lässt sich vielleicht eher durch die ingenieurstechnischen Hintergründe begeistern.

Ein nicht so turbulenter Exkurs in die Strömungslehre

Dividiert man die Bernoulli-Gleichung durch die Gravitationskonstante g, so erhält man die Höhengleichung:

v…Strömungsgeschwindigkeit
p…Druck
rho… Dichte des Mediums
z…  Höhe über/unter einer Bezugsebene mit gleicher geodätischer Höhe.

Oft wurden Täler beim Aquäduktbau auf kürzestem Weg durchquert, um die sogenannte „Energiehöhe“ zu sparen, welche im weiteren Trassenverlauf oft benötigt wurde, um Hindernisse zu überwinden. Aber was genau ist diese Energiehöhe? In diesem Zusammenhang ist die Höhengleichung von Nutzen: Diese Energiehöhe wird in Metern angegeben. Die Gleichung kann einfach mit dem Energieerhaltungssatz erklärt werden. Die vollständige Strömungsenergie einer zeitlich nicht veränderlichen (stationären), idealen (reibungsfreien) Flüssigkeit ist als Summe von potenzieller Energie (Geodätische Höhe z), Druck (Druckhöhe) – und Bewegungsenergie (Geschwindigkeitshöhe) konstant entlang einer Stromlinie.

Von der Bernoulligleichung wussten die Römer jedoch nichts, diese ist auf den Schweizer Daniel Bernoulli und den Italiener Giovanni Battista Venturi (18. Jahrhundert) zurückzuführen. Dennoch konnten die Römer auch ohne Bernoulli im späteren Verlauf des römischen Reiches Rom dank elf Aquädukten und mehr als 400 Kilometern Gesamtlänge mit Wasser versorgen und stellten so Trinkwasser, Wasser für öffentliche Springbrunnen, Toiletten (Latrinen), Thermalbäder, Abwassersysteme, zur Feuerbekämpfung und für die Landwirtschaft (Bewässerung) zur Verfügung. Auch der Bergbau war auf die Wasserversorgung angewiesen.

Zum Weiterlesen: Passierschein A38, bitte

In einer wissenschaftlichen Abhandlung der University of Queensland, „The Hydraulics of Roman Aqueducts: What do we know? Why should we learn?” wird näher auf die technischen Hintergründe eingegangen. Die Römer konnten jedenfalls auf weitreichendes Wissen der Etrusker, Griechen, Türken, Mesopotamier und Ägypter zurückgreifen (Wasserkanäle, Dämme etc.). Durchbrüche in Bau- und Vermessungstechnik – darunter Beton und Bogendesign waren – jedenfalls essenziell für die Konstruktion der Aquädukte. Grundsätzlich nutzten die Römer drei Leitungsarten: offene Rinnen (rivi per canales structiles), Bleirohre (fistuli plumbei) und Steingutleitungen (tubili fictiles).

Offene Rinnen wurden entweder gemauert oder in Stein gehauen, treibende Kraft für den Durchfluss war die Gravitationskraft. Hierbei war jedenfalls eine durchschnittliche Steigung von ca. 34 Zentimetern pro Kilometer notwendig und ohne genaue Messtechniken wäre dies nicht möglich gewesen. Den Überlieferungen zufolge lagen die Durchflussraten bei ca. 0,4 – 0,7 m3/s. Sogar Informationen über die Baukosten liegen vor. Rechnet man die Masse einer römischen Silbermünze (Sesterze) auf die aktuellen Silberpreise um, so hätte ein Kilometer Aquädukt damals 2,3 Millionen US-Dollar oder 1,9 Millionen Euro gekostet. Die Aquädukte entstanden unter der Aufsicht von Militäringenieuren und dem Einsatz der Armee, finanziert wurden sie durch den Kaiser, Gemeinden, privates Bürgertum oder eine Kombination aus diesen.

Moderne Technik? Latürnich!

Zisternen und Reservoire wurden zur Wasserverteilung und -regulierung in Städten eingesetzt. Sogar Flussregulierungssysteme kamen in Form von großen Becken und Stauteilen zum Einsatz. Folgende vier Zwecke wurden dadurch erreicht:
1.) um während der Regenzeit Überflutungen und Fehlfunktion der Aquädukte zu vermeiden
2.) um optimale Flussbedingungen zu garantieren (minimale Energieverluste und maximale Durchflussraten)
3.) zur Abflussregulierung und
4.) Möglichkeit zur Wartung (Säuberungs – und Reparaturarbeiten).

Die Speicherkapazität konnte beachtlich sein: Beispielsweise betrug diese im Aquädukt von Nîmes ( Brücke Pont du Gard) ca. 50.000 Kubikmeter Wasser. Es wird vermutet, dass die Römer dadurch bereits unter Nutzung von dynamischen Regulierungssystemen nachts Wasser speicherten, um damit unter Tags oder während Trockenperioden mehr davon zur Verfügung zu haben. Während der Großteil von Aquädukten aus langen, flachen Abschnitten bestand, gab es auch steile Bereiche, wo der Durchfluss superkritisch wurde. Zur Dissipation der kinetischen Energie wurden abgestufte Gerinne und Fallschächte verwendet, um Beschädigungen des Aquädukts zu vermeiden. Der Aquäduktbau war jedenfalls eine große technische Herausforderung und die Römer bewiesen ein erstaunliches Verständnis von Hydrologie, Fluiddynamik, Wassermanagement sowie Bau- und Vermessungstechnik.

Mein Empfehlung an alle Schülerinnen und Schüler: Wenn euch diese Thema interessiert, ist vielleicht ein Maschinenbau-, Bergbau-, Verfahrenstechnik-oder Erdöltechnikstudium das Richtige für euch!

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Aqu%C3%A4dukt

http://siva.bgk.uni-obuda.hu/~szakacs/segedanyagok/0910/HO24NDC/4/StroemungslehreIII_Bernoulli.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Bernoulli-Gleichung

Paper: Hubert Chanson: “The Hydraulics of Roman Aqueducts: What do we know? Why should we learn?”, 2008: World Environmental and Water Resources Congress 2008 Ahupua'a


Beitrag jetzt teilen

Zurück zur Übersicht