Diversity Month: Die Bedeutung von Biodiversität

Thomas Nigl und Christina Knapp beschäftigen sich am Lehrstuhl für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft mit dem Thema Biodiversität. Denn Thomas Nigl ist überzeugt "dass uns die Biodiversitätskrise mit ähnlicher Wucht entgegenschlagen wird, wie die Klimakrise." Was Biodiversität bedeutet, warum sie oft übersehen wird, welche Herausforderungen es für Unternehmen gibt und was die Montanuniversität Leoben beitragen kann erfährt ihr in diesem spannenden Blog.

Was ist Biodiversität?

Die Biodiversität, auch biologische Vielfalt genannt, umfasst die Vielfalt aller Lebewesen auf der Erde sowie die Vielfalt der Ökosysteme, in denen sie leben. Damit werden die Individualität und Einzigartigkeit aller Lebewesen und deren Gestaltung ihres Lebensraumes wie zum Beispiel Wälder, Wiesen, Gewässer usw. beschrieben. Ein Lebensraum mit hoher biologischer Vielfalt ist im Vergleich mit jenem mit geringer Diversität, widerstandsfähiger und produktiver gegenüber natürlichen und menschlichen Einflüssen. Menschliche Aktivitäten wie etwa Abholzung, Überfischung, Verbauung und die Folgen der Erderhitzung gefährden diese Vielfalt zunehmend und führen zu einem Biodiversitätsverlust. Um die Biodiversität zu schützen und zu erhalten, ist es wichtig, Maßnahmen, wie z. B. die Schaffung von Schutzgebieten, die Überwachung und Regulierung menschlicher Eingriffe in Umwelt und Natur, die Förderung nachhaltigen Wirtschaftens, zu ergreifen.

Um die Bedeutung der Biodiversität vereinfacht zu veranschaulichen folgendes Beispiel: Wenn beispielsweise der Bestand an Vögeln abnimmt, kann dies über die Räuber-Beute-Beziehung zu einem Rückgang bei der natürlichen Kontrolle von schädlichen Insekten führen. Dies könnte in der Folge dazu führen, dass mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen, welche wiederum zur Verschmutzung von Gewässern führen und somit Pflanzen und Tiere in ihren natürlichen Habitaten beeinträchtigen. Sollten jene Ökosysteme, die uns u.a. mit Nahrung, Trinkwasser und sauberer Luft versorgen (Ecosystem Services), kollabieren, stehen uns ähnlich wie bei der Erderwärmung, gravierende Probleme bevor.

Verlust von Biodiversität

Neben der immer gravierender werdenden Klimakrise erleben wir gerade einen enormen Biodiversitätsverlust. Genauer gesagt, befinden wir uns im Zeitalter des sechsten Artensterbens. Die ersten Anzeichen dieses Artensterbens zeigten sich bereits im 19. Jahrhundert, seitdem hat sich der Rückgang der biologischen Vielfalt fortgesetzt und während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts massiv beschleunigt.

Das sechste Artensterben ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, weil der Verlust von Biodiversität nicht nur darüber entscheidet wie, sondern ob wir in Zukunft überleben. Die Artenvielfalt ist eine Voraussetzung für das Funktionieren aller Ökosysteme. Laut dem Living Planet Index, welcher den ökologischen Zustand der Erde widerspiegelt, liegt der Rückgang der erfassten Bestände von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen weltweit seit dem Jahr 1970 bei 69 Prozent. In Österreich ist der Anteil der gefährdeten Arten vor allem bei Reptilien und Amphibien mit rund 60 % besonders hoch.

Im Schatten der Klimakrise ist die Biodiversitätskrise jene Krise globalen Ausmaßes die zumeist übersehen wird. Dies zeigt sich einerseits im fehlenden Problembewusstsein und gesellschaftlichen Diskurs, andererseits aber auch in fehlendem politischem Tatendrang.

Biodiversitätskonferenz Montreal 2022

Im Dezember 2022 wurde ein neues Rahmenabkommen zur Bewahrung der biologischen Vielfalt auf der Erde mit 23 Zielen abgeschlossen. Dazu zählen unter anderem:

  • Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresfläche weltweit unter Naturschutz gestellt werden (Target 3).
  • 30 Prozent der geschädigten Flächen sollen bis 2030 wiederhergestellt und renaturiert werden (Target 2).
  • Schädliche Umweltauswirkungen von Pestiziden und Düngemitteln in der Landwirtschaft sollen bis 2030 halbiert werden (Target 7).
  • Staaten sollen Maßnahmen ergreifen, um das Bewusstsein von Produzenten und Konsumenten für den Schutz der Biodiversität zu fördern (Targets 15 und 16).

Es gibt aber auch deutliche Kritikpunkte am Montrealer Abkommen. Diese sind die etwa die vage Formulierung der Ziele, ein Fehlen von definierten Umsetzungsschritten, um diese Ziele zu erreichen und ein fehlendes Monitoring des Fortschrittes.

EU-Biodiversitätsstrategie

In der EU gibt es seit 2020 eine Biodiversitätsstrategie, welche ähnliche Ziele enthält wie das Montrealer Abkommen. Die übergeordneten Ziele bis 2050 sind, dass alle Ökosysteme der Welt wiederherzustellen sind und angemessen zu schützen, der Natur mehr zurückzugeben als genommen wird und dass der Mensch nicht mehr für das Artensterben verantwortlich ist. Um das zu bewerkstelligen, plant die Kommission die Schaffung eines neuen europäischen Governance-Rahmens im Bereich der Biodiversität, um Verpflichtungen und Zusagen zu erfassen und einen Fahrplan für deren Umsetzung zu erstellen. Dieser wird aus einer Reihe vereinbarter und klar definierter Indikatoren bestehen und eine regelmäßige Bewertung des Fortschritts sowie gegebenenfalls erforderliche Korrekturmaßnahmen ermöglichen.

Die Europäische Kommission hat 16 Ziele für den Schutz der Umwelt in der EU festgelegt, darunter der gesetzliche Schutz von mindestens 30 Prozent der Landfläche und Meeresgebiete, der strenge Schutz von mindestens einem Drittel der Schutzgebiete, die Verringerung des Einsatzes von Pestiziden um 50 Prozent und die Anwendung agrarökologischer Verfahren. Außerdem sollen drei Milliarden neue Bäume gepflanzt und mindestens 25.000 Flusskilometer wiederhergestellt werden. Weitere Ziele umfassen die Begrünung von Städten ab 20.000 Einwohnern, die Sanierung von kontaminierten Böden und die Reduktion bzw. Unterbindung von Beifang.

Steigende Relevanz für Industrie

Ausgelöst durch die politischen Bestrebungen Lieferkettengesetze zu schaffen, werden über die Lieferketten zunehmend Maßnahmen zum betrieblichen Biodiversitätsschutz nachgefragt. Da viele Unternehmen in dem Bereich noch keine oder nur wenige Maßnahmen gesetzt haben, gibt es hier viel Handlungsbedarf.

Für das unternehmerische Biodiversitätsmanagement gibt es mit dem Einkauf, dem Marketing und dem Liegenschaftsmanagement drei besonders wichtige Bereiche. Der Einkauf bildet durch den Einfluss auf die Lieferketten eine Schlüsselrolle, da die Rohstoffe und die Dienstleistungen, die Biodiversität in direkter und indirekter Weise beeinflussen. Das Marketing beeinflusst das Kaufverhalten der Konsumenten und könnte es an biodiversitätsverträglichen Standards ausrichten und eventuell auch neuen Kundensegmente ansprechen. Das Liegenschaftsmanagement und somit der verantwortungsvolle Umgang mit Grund und Boden sind nicht nur für die Gesellschaft und Eigentümer von existenzieller Bedeutung, sondern bildet auch für die biologische Vielfalt von Pflanzen und Tieren eine wichtige Grundlage.

Herausforderungen im betrieblichen Biodiversitätsmanagement

Die biologische Vielfalt als Kernpunkt ins unternehmerische Nachhaltigkeitskonzept einzubinden, bringt neben zahlreichen Vorteilen auch Herausforderungen mit sich. Dazu gehören unter anderem einerseits die Komplexität und Interdisziplinarität der Thematik an sich, andererseits die Spannungsfelder zwischen nachhaltiger Produktion und Greenwashing, Big Data und schwieriger Informationsbeschaffung sowie ökonomischen Anreizen und fehlender Zahlungsbereitschaft.

Um die Erhaltung der Biodiversität in einem Unternehmen erfolgreich zu fördern, ist das Ausarbeiten eines dementsprechend förderlichen Liegenschaftsmanagements unerlässlich. Diese Maßnahmen lassen sich zumeist leichter umsetzen, als Änderungen in den Bereichen Einkauf oder Produktgestaltung. Ein natur- und umweltverträgliches Liegenschaftsmanagement hat neben der Erhaltung bzw. Förderung der biologischen Vielfalt auch weitere Vorteile wie zum Beispiel Imagegewinn, wachsender Mitarbeiterzufriedenheit und auch Kostensenkungen.

Mögliche Handlungsfelder für die Montanuniversität Leoben

Die Klimakrise ist mittlerweile voll in der strategischen Ausrichtung von Forschung und Lehre der Montanuniversität Leoben angekommen. Mittels Anpassung (z. B. Geoenergy Engineering) und Neuausrichtung (z. B. Umwelt- und Klimaschutztechnik) hat die Montanuniversität auf die Krise reagiert und das Studienangebot entsprechend weiterentwickelt. Auf die Herausforderungen der Biodiversitätskrise geht die strategische Ausrichtung der MUL allerdings noch nicht ein.

Die TU Dresden ging im Hinblick darauf einen Schritt weiter und hat Biodiversitätsmanagement sogar als Schwerpunkt der Professur für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Umweltmanagement definiert.

Doch was kann die Montanuniversität konkret tun, um Biodiversität zu schützen?

  • Ähnlich wie beim betrieblichen Biodiversitätsmanagement spielt das Liegenschaftsmanagement eine große Rolle. Mögliche Maßnahmen sind:
    • Biodiversitätsmonitoring und Entwicklung eines Managementplanes für Artenvielfalt
    • Priorisierung der Nutzungsansprüche von Infrastruktur und insbesondere Gebäuden mit Integration ökologischer Nutzungsansprüche
  • Schaffung und Wahrung vielfältiger Lebensräume und Habitate
    • Fassaden- oder Dachbegrünung als Lebensraum für Insekten oder Vögel
    • Renaturierung und Entsiegelung von Parkfläche
    • Rückbau von Parkflächen
    • Entwicklung eines nachhaltigen Mobilitätskonzeptes
  • Kompensationsmaßnahmen für verlorene Lebensräume und Habitate
    • Nisthilfen/Nischen für Vögel und Fledermäuse
    • Errichtung von Insektenhotels und Totholzhaufen
    • Kooperation mit Imker*innen
  • Vorbeugende Maßnahmen gegen Artenverlust
    • Sicherstellung der Konnektivität von Lebensräumen
    • Transparenz und Spiegeleffekt von Glasfronten reduzieren, durch Aufkleber oder Jalousien, um Vogelschlag zu reduzieren
    • Bekämpfung invasiver Arten auf den Standorten der MUL
    • Verzicht auf Pflanzenschutzmitteln wie z.B. Düngemittel und Pestizide
  • Richtiges Grünflächenmanagement zur Förderung der Artenvielfalt
    • Verzicht von Abdeckungen wie Rindenmulch und KiesWildblumenwiesen für Bienen und andere blütenbesuchende Insekten statt Rasenflächen
    • Natur- und umweltverträgliche Pflegemaßnahmen
    • Zeitliche Abstimmung der Mahd auf die Samenreife
    • Zeitverzögerte Entfernung des Mahdgutes, damit Insekten und Kleintiere Zeit zum Ausweichen haben
    • Aussparen der Mahd (z.B. an Wiesenrändern) zum Schutz vor regelmäßig wiederkehrenden Lebensraumverlust

Fazit

Der gegenwärtige Biodiversitätsverlust birgt in Zukunft große Herausforderungen, welche wir aus gesamtheitlicher Sicht nur dann bewältigen können, wenn wir rechtzeitig auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen entsprechende Maßnahmen setzen. Sei das nun im persönlichen Umfeld, dem wissenschaftlichen und umfeldbezogenen Handlungsmöglichkeiten einer Universität oder als inhärenter Teil industriellen Wirtschaftens.


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