Fernkälte – was ist das?

In zwanzig Jahren wird Europa laut Expert*innen in etwa so viel Kühlenergie wie Heizenergie brauchen. Gleichzeitig soll der Energieverbrauch sinken. Um eine klimafreundliche Kühlmöglichkeit zu schaffen, setzt Wien Energie auf den Ausbau der Fernkälte. Mit der modernen Technologie, die unter anderem aus Wärme Kälte macht, spart man bis zu 70 Prozent des Energieaufwands und 50 Prozent der CO₂-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Klimaanlagen.

Wir haben mit Georg Geißegger von Wien Energie darüber gesprochen, der im Rahmen der Triple N Talks am 9. Dezember einen Vortrag zu diesem Thema hält.

1. Was kann man sich als Laie unter Fernkälte vorstellen?

Stark vereinfacht funktioniert Fernkälte ähnlich wie Fernwärme – nur eben umgekehrt. Fernkälte entsteht in eigenen Zentralen. Mit hocheffizienten Maschinen wird hier Kälte in Form von kaltem Wasser erzeugt. Über ein eigenes Fernkältenetz wird dieses auf fünf bis sechs Grad abgekühlte Wasser dann verteilt und die Kälteenergie in den angeschlossenen Gebäuden genutzt. Dort wird die Kälte über hauseigene Kühlsysteme verteilt. Dabei kann es sich etwa um Rohre in den Betonwänden eines Gebäudes (Bauteilaktivierung) oder auch um Gebläsekonvektoren („Fan Coils“) in den Räumen handeln. Das Wasser nimmt die Wärme aus dem jeweiligen Gebäude auf und transportiert sie ab. Auch die Rückkühlung geschieht zentral, zum Beispiel über Flusswasser.

 

2. Woher kommt die dafür benötigte Energie?

Als Antriebsenergie für die Maschinen in den Fernkältezentralen wird neben Strom auch Wärme verwendet, im Sommer vor allem Abwärme aus den Müllverbrennungsanlagen. So wie der Wiener Müll im Winter der Stadt einheizt, so kühlt er sie also auch im Sommer.

 

3. Wie wird die Kälte in die Haushalte transportiert?

Wie bei der Fernwärme gibt es auch für die Fernkälte ein eigenes Fernkältenetz. In diesem – inzwischen rund 19 Kilometer langen – Kältenetz fließt das kalte Wasser unter der Stadt hin zu den jeweiligen Abnehmern.

 

4. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen?

Fernkälte ist dort besonders sinnvoll, wo sie ganzjährig oder vollflächig genutzt werden kann. Deshalb liegt der Fokus des Fernkälteausbaus auf Spitälern, Büros und Hotels mit Laboren, Großküchen, Rechenzentren. Die Versorgung im Wohnbau ist deutlich komplexer. Für den Einbau von Fernkälte ist im Haus und in den einzelnen Wohnungen ein entsprechendes Lüftungs- oder Kühlsystem notwendig. Eine Nachrüstung im Bestand ist deshalb sehr schwierig. Wien Energie setzt nun erste Projekte im Neubau oder im Zuge von Kernsanierungen um. Wobei die Tendenz der Kühlung Richtung Flächenkühlungen, wie Bauteilaktivierung, Fußboden oder Deckenkühlung geht. Die Wohnungen sind dabei einzeln ansteuerbar.

 

5. Glauben Sie, dass Fernkälte überall in Österreich in Zukunft benötigt wird?

Die Sommer werden immer wärmer, die Anzahl der Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad nimmt zu. Der Bedarf an klimafreundlichen Lösungen steigt daher. Ob der Ausbau der Fernkälte an einem Ort sinnvoll ist, muss individuell beurteilt werden. Gerade im dicht verbauten Stadtzentrum ist Fernkälte immer mehr gefragt. Denn herkömmliche Klimaanlagen verbrauchen nicht bloß mehr Energie, sie benötigen auch deutlich mehr Platz. Außerdem müssen für sie Rückkühler am Dach errichtet werden, die oft dem Denkmalschutz widersprechen, durch Abwärme die Umgebung erhitzen – und nicht zuletzt Grünpflanzen oder etwaigen Photovoltaikanlagen den Raum streitig machen. 


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