Wenn Hundertstel über Gold entscheiden…

Hartgesottene Schifans haben derzeit kurze Nächte. Viele Olympia-Entscheidungen fallen in den frühen Morgenstunden. So auch die im Herren Super-G, den der Kärntner Matthias Mayer um vier Hundertstel für sich entschied. Wir sprachen mit dem Montanuni-Absolventen Dipl.-Ing. Hermann Gessl, der nach seinem Kunststofftechnik-Studium bei der Schifirma HEAD Sport GmbH begann.

Als erstes stellt sich einmal die Frage, wie so ein Rennschi überhaupt aufgebaut ist.

„Einen Schi kann man sich mechanisch stark vereinfacht als einen Biegeträger vorstellen, der sich jedoch durch einen sehr komplexen und hochentwickelten Aufbau auszeichnet um den hohen Anforderungen an ein Sportgerät gerecht zu werden. Diese Anforderungen reichen von einer guten Fahrbarkeit und Haltbarkeit für den Alltagsschifahrer bis zur extremen Fahrperformance und Belastbarkeit im Rennsport.“ Aus technischer Sicht wären diese Anforderungen:

  • Passendes Elastizitäts- und Flexverhalten
  • Passendes Dämpfungsverhalten
  • Funktionalität in vielerlei Hinsicht wie z. B. Gleiteigenschaften im Schnee, Verschleißfestigkeit und Servicetauglichkeit, möglichst geringes Gewicht, etc.

Entsprechend dieser Anforderungen besteht ein moderner Schi heute aus einer Vielzahl an verschiedenen Materialien. Nachfolgend ist beispielhaft der Aufbau eines modernen Sandwich-Schis dargestellt:

WC Sandwich Cap Construction

The Graphene WC sandwich Cap construction with a balanced mix of light Graphene and extra titanal layers, the ski combines the most extreme agility with extreme responsiveness, the ultimate performance.

  1. Top Sheet
  2. Glass fiber
  3. Titan layer
  4. Glass fiber
  5. Wood core
  6. Graphene
  7. Sidewall
  8. Edge
  9. Dampening Layer
  10. Reinforced Fiberglas
  11. Base

Kunststoffe spielen beim Aufbau wie oben zu sehen ist eine zentrale Rolle. So werden Belag, Oberflächen, Seitenwangen und Dämpfungsmaterial aus Kunststoffen gefertigt. „Die Herausforderungen in der Konstruktion und Fertigung eines Schis bestehen also im Zusammenspiel eines komplexen Materialmixes, an dem auch Holz als bevorzugtes Kernmaterial bei hochwertigen Schiern beteiligt ist. Die Abstimmung muss dabei stets auch in Abwägung der Kosten erfolgen, da der Alltagsschifahrer nur bedingt bereit ist, den Preis für spezielle Hightech-Materialien zu bezahlen.

Neue Entwicklungen bei den Materialien konzentrieren sich heute vorwiegend auf die Verbesserung des Preis-Leistungsverhältnisses. Dabei spielt auch die preisgünstige Verarbeitbarkeit in der Schifertigung eine große Rolle. So erweisen sich manche Alternativmaterialien wie z. B. Hanffasern oder andere Naturfasern als nicht in besonderem Maße geeignet, die Gesamteigenschaften eines modernen Schis zu verbessern. Interessante Entwicklungen beim Schi werden sich künftig durch den Einsatz von elektronischen Bauteilen ergeben“, erläutert Gessl.

Den Zuschauern interessiert natürlich auch, ob das Material ausschlaggebend für den Erfolg ist. Der Schiexperte antwortet dazu eindeutig: „Die Frage ist ganz klar mit Ja zu beantworten. Alle Komponenten am Schi tragen zur Fahrperformance bei, wobei der konzeptionelle Einsatz von Kunststoffen sowie die technische Beherrschung des gesamten Materialmixes und die mechanische Auslegung des Schis dabei als entscheidende Faktoren eingehen.

Als interessanter Aspekt beim Schi kommt durch seine Funktion als Sportgerät auch eine gewisse emotionale Komponente hinzu. Bei gekonntem Einsatz der Materialien und Beherrschung aller mechanischen Eigenschaften unterstützt ein gut gemachter Sc hi den Athleten in emotionaler Hinsicht und verhilft ihm so mitunter zusätzlich zu besonderen Spitzenleistungen.“

Uns interessiert natürlich auch, wie Hermann Gessl die Zukunft des alpinen Schisports sieht: „Es ist davon auszugehen, dass Schifahren auch in Zukunft ein Breitensport bleiben wird. Daher werden auch die Entwicklungen rund um das technische Produkt Schi künftig weiter vorangetrieben werden. Kunststoffe werden dabei weiterhin eine Schlüsselrolle spielen.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Schi-Industrie immer wieder imstande war und weiterhin sein wird, dem Kunden einen Mehrwert zu bieten.“

Einige Beispiele dazu:

Carving-Schi um 1990, heute Standard beim Pistenschi

Rocker-Schi um 2005, heute Standard beim Freerideschi

Leichtbau-Tourenschi ab 2000, begründet den aktuellen Tourenschi-Boom

„In näherer Zukunft wird auch mit elektronischen Gadgets am Schi im Zusammenspiel mit dem Smartphone zu rechnen sein“, ist Gessl überzeugt.

Zur Person

Hermann Gessl schloss sein Kunststofftechnik-Studium an der Montanuniversität Leoben im Jahr 2004 ab und begann dann gleich danach seine Tätigkeit bei der Firma HEAD Sport GmbH in Kennelbach in Vorarlberg. Dort beschäftigt er sich vor allem mit der Materialrecherche, der Formenentwicklung und der Konstruktion für die gesamte Schifertigung.

Alles über das Studium Kunststofftechnik erfährst du hier!https://www.unileoben.ac.at/studium/bachelor/bsc-studien-im-bereich-werkstoffe/kunststofftechnik

 


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