Ying und Yang in der Studenten-WG: Kann das funktionieren?
Im ersten Semester haben meine Mitbewohner und ich uns kennengelernt, Ende des zweiten Semesters sind wir dann in unsere jetzige Wohnung gezogen. Anfangs überwiegt die Begeisterung. Alle studieren das gleiche, wir haben gemeinsame Vorlesungen, können zusammen für Prüfungen lernen. Je mehr allerdings alles zur Gewohnheit wird, desto mehr Probleme fallen einem auf. Wir haben definitiv nicht die gleichen Vorstellungen von Ordentlichkeit, Putzpläne funktionieren nicht. Es ist immer etwas los, selten ist es wirklich ruhig, sich aus dem Weg zu gehen, funktioniert auch nur bedingt. Durch das immer bessere Kennenlernen fallen einem mehr Charakterzüge an den anderen auf, die sich nicht wirklich mit den eigenen zu vertragen scheinen.
Die drei größten Gegensätze bei uns sind wohl folgende:
Ordnung vs. Chaos
Das dreckige Geschirr steht schon den dritten Tag in der Spüle, obwohl es doch einen leeren und funktionstüchtigen Geschirrspüler gibt. Der Putzplan wird von einer Seite fast schon religiös eingehalten, die andere Seite vergisst wöchentlich, dass es in den meisten WGs keine fleißigen Heinzelmännchen gibt. Beim Kochen prallen organisatorische Perfektion und kreative Unstrukturiertheit aufeinander. Wie sich so ein Konsens finden lässt? Gar nicht. Meistens läuft es darauf hinaus, die Augen einmal öfters zuzudrücken bzw. aufzumachen. Das hat in meinem Fall mehrere Jahre gedauert, aber mittlerweile haben wir unsere Vorstellungen so weit angenähert, dass wir recht konfliktfrei miteinander leben können.
Eule vs. Lerche
Dieser Gegensatz lässt sich am besten durch folgende Situation beschreiben: Man trifft sich in der Küche. Person 1 ist gerade aufgestanden und auf dem Weg zur Kaffeemaschine. Person 2 holt sich gerade ein Glas Wasser, bevor es endgültig ins Bett geht.
Natürlich etwas überspitzt dargestellt, allerdings liegen oftmals nicht sehr viele Stunden zwischen Aufstehen und Schlafengehen von zwei Menschen. „Jeder kennt den Unterschied: Manche Menschen, die Lerchen´, sind morgens um 6.00 Uhr fröhlich und wach, gehen aber gern um 22.00 Uhr ins Bett. Andere, die 'Eulen' sind, vor 9.00 Uhr kaum ansprechbar, blühen aber ab 21.00 Uhr so richtig auf. Extreme Lerchen gehen dann ins Bett, wenn die extremen Eulen aufstehen. Die einen verabscheuen die Arbeit am Abend, die anderen haben dann ihre produktive Zeit.“*
Diese Kombination von Mitbewohnern hat zumindest den Vorteil, dass immer jemand wach ist, um Pakete anzunehmen, Handwerker in die Wohnung zu lassen und man sich in stressigen Zeiten auch einfach aus dem Weg gehen kann. Kompliziert wird es höchstens bei der Planung der Essenszeiten, aber warum nicht einfach Mittagessen und Frühstück mal zu einer Mahlzeit zusammenfassen?! Brunchen ist ja schließlich in den letzten Jahren nicht ohne Grund so beliebt geworden.
Schweigen vs. Wasserfall
Wenn ich morgens aufstehe, brauche ich Kaffee, frische Luft und am wichtigsten: Meine Ruhe! Ich bin ein richtiger Morgenmensch, allerdings bin ich nicht wirklich gesprächig. Was etwas kompliziert werden kann, wenn man einen Mitbewohner hat, der in der Früh sein Mitteilungsbedürfnis voll und ganz ausleben will. Außer Nicken und Kopfschütteln wird er von mir nicht viel erhalten. Wenn er sich damit zufrieden geben kann, gut. Wenn nicht, muss er mir zumindest eine Stunde Zeit geben. Danach helfe ich ihm gerne bei der Erörterung, welche Sockenfarbe am besten zu seinem neuen glitzernden Anzug und der karierten Krawatte passt.
So schwierig es anfangs auch sein mag, mit der Zeit wachsen die meisten WGs zu einer kleinen Familie zusammen. Auch wir haben uns doch sehr schnell arrangiert. Wir haben voneinander (und miteinander) gelernt und mittlerweile könnte ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen. Jeder von uns musste zurückstecken, Rücksicht nehmen und sich auch hin und wieder durchsetzen – aber das war es definitiv wert. Spieleabende, Kochaktionen, Lachanfälle – die Grundbausteine unserer WG sind wahrscheinlich auch für viele andere charakteristisch. Streitereien und Diskussionen gehören allerdings genauso dazu. Als Stichwort würde ich hier vermutlich „Kommunikation“ nehmen. Wenn sie funktioniert, lassen sich die meisten Probleme einfacher aus der Welt schaffen. Und nach dem Ende der WG-Zeit bleiben wir hoffentlich weiter eine kleine „Familie“, auch wenn wir vielleicht über die ganze Welt verstreut leben.
Quelle:*https://www.lunow.de/newsarchiv/item/eule-oder-lerche-schlaftypen-und-die-folgen (Stand 7.4.2021)